Wie wir alle wissen ist die Natur eine beliebte Referenz- und Inspirationsquelle, um Lösungen für technische Probleme zu finden, denen wir im Alltag begegnen.
Können Sie sich einen Hai mit Flügeln vorstellen? Natürlich ist das etwas weit gegriffen, dennoch könnte die Haut des Königs der Meere dank ihrer hohen Effizienz der Schlüssel zur Reduzierung des Treibstoffverbrauchs von Flugzeugen sein.
Doch bevor wir uns im Detail mit der Umsetzung dieser Idee beschäftigen, müssen wir verstehen, was den Hai ausmacht, damit er sich derart schnell im Wasser fortbewegen kann.
Die Imitation der Haut von Haien an der Oberfläche von Flugzeugen kann eine deutliche Reduktion der Reibung und somit Effizienzgewinne ermöglichen.
Zunächst einmal fällt seine aerodynamische Form ins Auge, die alle Fische gemein haben, um sich schnell und mit minimalen Energieaufwand fortbewegen zu können. In diesem Fall liegt das Geheimnis der besonders hohen Geschwindigkeit jedoch in der Haut. Nicht ohne Grund ist das schnellste Wasserlebewesen der Kurzflossen-Mako (oder Makohai), der bis zu 124 km/h erreichen kann.
Bestimmt haben Sie auf Fotos oder in Videos schon viele Haie gesehen, aber um zu verstehen, wie seine Haut ihm derartige Geschwindigkeiten ermöglicht, müssen wir sie unter dem Mikroskop betrachten. Komischerweise fühlt sich die Haut, die den Hai zum schnellsten Lebewesen im Wasser macht, sehr rau an. Sie fühlt sich an wie Schmirgelpapier. Der Grund dafür ist, dass sie nicht von gewöhnlichen Schuppen überzogen ist wie bei allen anderen Fischen, sondern von zahnförmigen Platten.
Die sogenannten Placoid-Schuppen von Haien haben eine seltsame Eigenschaft: Jede einzelne Schuppe ist von Dornen oder „Stacheln“ überzogen. Diese zum Schwanz orientierten erhabenen Stacheln bedecken den ganzen Körper des Hais. Obwohl diese Stacheln nur wenige Mikrometer groß sind, hat sich gezeigt, dass sie die Reibung beim Schwimmen reduzieren, sodass sich der Hai mit dem gleichen Energieverbrauch schneller fortbewegen kann.
Ebenso hat sich erwiesen, dass Haie, die aufgrund ihrer natürlichen Umgebung langsamer schwimmen müssen, weniger Stacheln auf ihren langen, spitzen Schuppen haben.
Die Haut von Haien wurde erstmals 1970 von dem deutschen Paleontologen und Evolutionsbiologen Wolf-Ernst Reif erforscht, der damals bereits auf die Reduktion des Fließwiederstands durch die Schuppen von Haien hingewiesen hat. Fast ein halbes Jahrhundert später wurde endlich ein vielversprechender Kurs zur Anwendung dieser Technologie in der Luftfahrtbranche eingeleitet.
Dieser Weg war jedoch alles andere als einfach. Es wurden mehrere Prototypen aus verschiedenen Materialien und mit unterschiedlicher Position der Zähne getestet, wobei 3D-Drucker eine große Hilfe für zuverlässige Schussfolgerungen während des Projekts waren.
Jüngste Studien mit im Labor hergestellten Nachbildungen der Haut von Haien lassen keine Zweifel offen: die Reibung mit der umgebenden Flüssigkeit wird eindeutig reduziert.
In einem von der Universität Harvard durchgeführten Versuch gelangten die Forscher zu dem Ergebnis, dass mit dieser Struktur ein Geschwindigkeitszuwachs von 6,6 % mit zusätzlichen Energieeinsparungen erreicht werden kann.
Sie kamen zu diesem Schluss, nachdem sie eine synthetische Haihaut beidseitig an einer beweglicher Folie befestigt hatten. Die Idee war, dass das Muster in einem Wasserstrom ruhig bleiben oder die Bewegung eines Hais imitieren kann. Im Anschluss wurden die auf der unbewegten und der bewegten Folie auftretenden Kräfte gemessen.
Das Ergebnis war, dass die Reibung der synthetischen Haihaut in langsam fließenden Wasser 8,7 % geringer war. Bei höheren Fließgeschwindigkeiten generierte die Haihaut 15 % mehr Widerstand als eine glatte Membran. Wenn die Folie jedoch bewegt wurde, um die Bewegung eines schwimmenden Fisches nachzuahmen, war die Leistung der Haihaut mit einem Geschwindigkeitszuwachs von 6,6 % und einem um 5,9 % niedrigeren Energieverbrauch deutlich höher.
Daraus wird ersichtlich, dass der Widerstand eines sich fortbewegenden Körpers sinkt, da die Haftung der umgebenden Flüssigkeit auf der Hautoberfläche durch die Zwischenräume zwischen den einzelnen Dentikeln erschwert wird.
Aus diesem Grund weckten de ersten Untersuchungen dieses Tiers hohe Erwartungen bezüglich der potenziellen Anwendungsmöglichkeiten. Seine wichtigsten Eigenschaften wurden im Zuge der von den Universitäten Havard (Cambridge) und Emory (Atlanta) durchgeführten Studien immer deutlicher; und zwar:
- Geringere Reibung,
- Höhere Geschwindigkeit,
- Niedrigerer Energieverbrauch.
Die ersten nennenswerten Anwendungen von Designs mit Imitationen von Haihaut waren in den Schwimmanzügen von Profi-Schwimmern. Die während den Olympischen Spielen 2008 und danach erzielten Resultate waren so spektakulär, dass in diesen Wettkämpfen bestimmte Gewebe verboten wurden.
Doch die Weiterentwicklung dieser Technologie wurde aufgrund der enormen Möglichkeiten, die sie der Schiffsbau- und Luftfahrtindustrie eröffnete, unbeirrt fortgesetzt.
In letzterer Branche war es das deutsche Luftfahrtunternehmen Lufthansa, das zuerst auf diese Technologie setzte.
2019 wurden die ersten Tests an einem Teil des Flugzeugrumpfes einer Boing 747–400 des Unternehmens durchgeführt, die eine Reduktion der Reibung am Flugzeug um bis zu 0,8 % ergaben.
Das mag sehr wenig oder irrelevant erscheinen. Wenn wir jedoch die Anzahl der Stunden berücksichtigen, die ein Flugzeug in Betrieb ist, lassen die Berechnungen auf jährliche Einsparungen von mehreren Tonnen Treibstoff schließen. Dies hätte nicht nur positive Auswirkungen auf die Wirtschaft eines jeden Luftfahrtunternehmens, sondern auch eine Reduktion der CO2-Emissionen zur Folge – eine der wichtigsten ausstehenden Aufgaben der nächsten Jahrzehnte in der Luftfahrtbranche sowie allen anderen Industriezweigen.
Nach einer durch das Coronavirus bedingten Unterbrechung wird die Forschung rund um diese Technologie nun fortgesetzt, um sie auf die restlichen Teile des Flugzeugs sowie andere Flugzeugtypen anzuwenden. Große internationale Hersteller verfolgen ähnliche Projekte in dieser Richtung.
Falls diese Technologie auf die gesamte Flugzeugflotte ausgeweitet werden kann, wären große Kraftstoffeinsparungen möglich und es wäre ein weiterer Schritt auf dem Weg zu Net-Cero-Emmissionen in der Luftfahrtbranche bis zum Jahr 2050 getan.
Obwohl in diesem Forschungsbereich noch ein langer Weg vor uns liegt, sind die bisherigen Ergebnisse vielversprechend. Luftfahrtunternehmen können nicht nur signifikante Einsparungen erzielen, sondern auch zur Dekarbonisierung der Luftfahrtindustrie beitragen. Man könnte es als eine „Win-win-Strategie“ bezeichnen.